Warum bekommt man Komplimente, wenn man abnimmt?

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Es gibt etwas, das mich schon lange beschäftigt: Es ist die Frage, warum man denn eigentlich Menschen ein Kompliment macht, wenn sie abnehmen. Wieso ist es gut, wenn jemand weniger Gewicht hat? Lassen wir jetzt mal außen vor, dass es alles, was in Richtung Fettleibigkeit und starkes Übergewicht geht, ganz einfach und wissenschaftlich bewiesen ungesund ist, und das andere Extrem, nämlich starkes Untergewicht, meist auch nicht als positiv angesehen wird.

Aber wenn wir jetzt über Menschen sprechen, die gesund sind, regelmäßig Sport machen, sich mehr oder weniger ausgewogen ernähren – ganz einfach Menschen, die rein medizinisch gesehen gesund und munter sind. Warum macht man solchen Menschen Komplimente, wenn sie abnehmen? Woher kommt dieser Gedanke, den so viele von uns haben: dass es etwas Positives ist, wenn man abnimmt, weniger Gewicht hat und im Umkehrschluss etwas Negatives, wenn man zunimmt?


Ich bin mehr wert, wenn ich weniger wiege

Menschen streben nach Anerkennung – und es prägt sich ein, wenn man gesehen wird. Wir fühlen uns gut, geschmeichelt, wenn wir Komplimente bekommen. Aber diese anerkennende Bemerkung, die man so oft hört: „Hast du abgenommen? Gut siehst du aus!“ finde ich um ehrlich zu sein in der Kombination ganz schlimm. Was ist denn das für eine Message, die da ankommt?

Ich bekomme also Komplimente, wenn ich weniger Gewicht habe!
Ich werde eher wahrgenommen und gesehen, wenn ich weniger bin!
Ich werde MEHR gemocht, wenn WENIGER von mir da ist!
Wenn ich abnehme, bin ich besser, bin ich MEHR WERT, das heißt also wenn ich zunehme bin ich WENIGER WERT, werde eher abgelehnt, muss mich selbst ablehnen.
Ich sehe nur gut aus, wenn ich gerade abgenommen habe, weil davor hat’s derjenige ja nicht gesagt!

Verstehst du, was ich damit sagen möchte? Wie so eine kleine Aussage so unglaublich viel auslösen kann? Wie wir uns mit solchen Komplimenten gegenseitig einfach überhaupt nichts Gutes tun? Warum heben wir nicht stattdessen die gesundheitlichen Aspekte in den Vordergrund? Wir können ja Komplimente machen wie „Schön, wie sportlich du aussiehst“ „Ich finde es super, dass du dich jetzt so gesund ernährst“ oder einfach „Man sieht dir an, dass es dir gut geht!“. Ganz einfach die Gesundheit in den Vordergrund stellen, anstatt das Gewicht.


Eine Hass-Liebe zu meinem eigenen Körper

Ich habe selbst schon verschiedene Phasen mit meinem Körper durchgemacht, und kann nur sagen: Für mich hat dieses „Ich bekomme Komplimente, wenn ich abnehme, werde dann positiv wahrgenommen“ eine ziemliche Hass-Liebe zu meinem Körper ausgelöst. Wie oft ich mich schlecht gefühlt habe, mich verurteilt habe dafür, dass ich jetzt noch etwas esse anstatt joggen zu gehen. Wie oft ich mir schon während dem Essen überlegt habe, was ich denn trainiere, damit sich das wieder ausgleicht. Wie ich zeitweise eine regelrechte Sportsucht entwickelt habe, nur „um es mir leisten zu können, das zu essen, was ich gerade essen möchte.” Und wie ich mich verurteilt habe, wenn ich mal zugenommen habe.

Und wie lange das für mich gedauert hat, Frieden zu schließen mit mir und meinem Körper, mich anzunehmen und meinen Körper wertzuschätzen, ganz egal ob ich gerade fünf Kilo ab- oder drei Kilo zugenommen habe. Wie lange hat es gedauert, bis ich mir zugestehen konnte, dass es einfach vollkommen unwichtig ist, wie viel Gewicht ich habe, wie dick oder nicht dick meine Oberschenkel sind und ob mein Bauch jetzt fest oder schwabbelig ist – solange ich mich GUT FÜHLE!


Selbstakzeptanz und #bodypositivity

Selbstakzeptanz und Selbstliebe. Ich finde, diese Worte werden oft so oberflächlich benutzt, obwohl sie so unglaublich tiefgründig sind und die wichtigste Verbindung beschreiben, die wir haben können – die Verbindung zu uns selbst. Es hat lange gedauert, bis ich das gelernt habe. Und ich bin dankbar, dass ich jetzt morgens aufwache, mich erstmal selbst umarme und „Danke“ sage, für meinen gesunden Körper. Es ist nach wie vor nicht immer gleich, das gebe ich zu, und denke auch, dass das ganz normal ist. Aber es ist unglaublich wichtig und wertvoll für mich, dass ich gerade an diesem Punkt bin, wo ich viel lieber meinen Körper für das schätze, was er täglich leistet, als mich zu verurteilen und zu mehr Sport zu zwingen, wenn ich mal wieder mehr gegessen habe.

Bitte versteht mich jetzt nicht falsch – ich bin zu 100% PRO ausgewogene Ernährung und regelmäßigen Sport! Aber nicht, wenn es zum Zwang wird, und das ist leider oft ein schmaler Grat.

Ich finde es schön, dass diese Bewegung #bodypositivity gerade so groß gemacht wird. Es ist so wichtig, dass wir alle zu unseren Makeln, zu unseren Dehnungsstreifen, zu Gewichts-Auf- und Abs, zu Cellulite und zu Speckrollen stehen dürfen. Und ich feiere jeden dafür, der keine Vorher-Nachher Bilder vom Abnehmen postet, sondern davon, dass er/sie gerade ein paar Kilo zugenommen hat, und es einfach vollkommen okay und auch egal ist.

Weil es genau das ist: okay.

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